Offener Brief an Mareile Blendl

Verfasst von Klaus Kusenberg
am 23.06.2022

Liebe Mareile Brendl,

wir sind uns ja mal beruflich begegnet, damals haben wir uns sicher geduzt, deswegen behalte ich das erstmal bei. Eigentlich wollte ich mich privat melden, aber bei dem hohen Grad an Öffentlichkeit, den Du ja auch gesucht hast, scheint mir das nicht mehr der angemessene Weg. Bevor der Diskurs sich vollständig auflöst in einer einstimmigen und keinen Widerspruch zulassenden Empörungswelle, würde ich gerne den Versuch unternehmen, ein klein wenig an der Oberfläche dieses allzu leicht errungenen Triumphs zu kratzen. Fürsprecher für CP aus seiner Generation finden sich natürlich keine – entweder sie sind zu alt und können den Griffel nicht mehr halten, oder sie sind noch im Geschäft und wollen nicht als ignorante Deppen im Shitstorm landen. Mir ist das egal, in vier Wochen bin ich kein Intendant mehr.

Zunächst: Ich war vier Jahre Assistent am Schauspielhaus Bochum und kenne Peymanns druck- und angstbasierte Probenarbeit, sein Angstregime auf der Probe habe ich immer verachtet. Ich wollte es nie so machen wie er, mein ganzes Berufsleben über habe ich mich definiert in Abgrenzung davon. Jeder der mich kennt, weiß das. Und ich bin heilfroh, dass so etwas heute gar nicht mehr denkbar wäre, jedenfalls nicht, ohne sofort heftigsten Widerspruch hervorzurufen. Aber zur Wahrheit gehört auch: ich habe in dieser Zeit so gut wie alles gelernt, was ich über Theater weiß. Nicht nur über Schauspielerei und die vielen verschiedenen Wege zu einer überzeugenden Lösung, auch darüber, wie man ein Theater leitet, wie leistungsfähig und effektiv so ein Theaterbetrieb sein kann, was alles möglich ist in diesem System Stadttheater. Wie kostbar die Literatur, wie wichtig die Schriftsteller und Schriftstellerinnen sind, wie sehr sie im Mittelpunkt all unserer Bemühungen stehen. All das inspiriert mich bis heute. Das ändert nichts daran, dass die Persönlichkeit von CP oft schier unerträglich war – ich habe damals für mich entschieden, mir für eine begrenzte Zeit einen dicken Panzer zuzulegen, in der Hoffnung, meine Empfindlichkeit darunter nicht zu verlieren.

Nach dieser etwas ausführlich geratenen Einleitung komme ich zu meinem eigentlichen Statement. Was ist passiert? Peymann hat, weil seine Lesung im Renaissancetheater noch nicht ganz ausverkauft war, ein Interview gegeben. Auf eine entsprechende Frage hat er geantwortet, die Schauspieler hätten ihn wahrscheinlich immer geliebt, egal wie schlecht er sie behandelt hat, sonst hätten sie ja nicht immer wieder mit ihm gearbeitet. Er hat keine Presseerklärung herausgegeben, er hat niemanden persönlich beleidigt, er hat keine Namen genannt, er hat einfach nur eine Frage beantwortet. Natürlich melden sich diejenigen nicht, auf die seine Sicht tatsächlich zutrifft – Begründung siehe oben. Zu Wort melden sich aber diejenigen, die das anders empfunden haben und deren seelische Wunden offenbar noch nicht verheilt sind. Womit wir bei Deinem Offenen Brief sind. Gegen was richtet sich der Brief eigentlich? Du willst wirklich mit einem machtlosen 85jährigen Greis „in den Ring steigen“? Im Ernst? Hast Du keine stärkeren Gegner? Und wird Dir nicht mulmig, wie innerhalb weniger Kommentarzeilen Anstand und Respekt den Bach runter gehen? Enthemmte Wortwahl, Maßlosigkeit, Wut – soll auch das öffentliche Reden über Theater davon geprägt sein? Was soll das denn für ein „Transformationsprozess“ sein, einen 85jährigen Ex-Intendanten zu beschimpfen? Was soll transformiert werden – die Theatergeschichte? Oder die Persönlichkeit von Claus Peymann? Vielleicht geht es gar um ein Berufsverbot für den greisen Regisseur? Ob LEAR in Stuttgart oder DIE NASHÖRNER in Ingolstadt – natürlich waren die Proben nervig, aber es sind großartige Inszenierungen, die für volle Häuser sorgen.

Und „Besser spät als nie“ – das hat am Theater übrigens noch nie gestimmt. Wenn die Probe vorbei, die Premiere gewesen ist, dann bleibt nur noch die Kantine, dann hat man seine Chance verpasst. Und nach Jahrzehnten des Schweigens vertrauliche Probendetails auszuplaudern ist kein guter Stil. Und mutig ist es schon gar nicht. Gert Voss war mutig, er hat auf den Proben zu HERMANNSSCHLACHT zurückgebrüllt – und wurde zum Theaterstar.

Nichts für ungut liebe Mareile, du bist und bleibst eine tolle Schauspielerin!

Liebe Grüße

Klaus Kusenberg

PS Ich lese gerade Deine letzten Äußerungen, wo Du dazu aufrufst, Peymann zu vergessen und den ganzen Vorfall einfach nur zum Anlass zu nehmen, generell über Theaterstrukturen zu reden. Schön und gut – aber der Anlass für diese Diskussion, der Dir jetzt plötzlich unwichtig und lästig erscheint, das ist ein Mensch! Ein Mensch mit Persönlichkeitsrechten, die einmal kurz durch den Schlamm gezogen worden sind. Insofern ein Fall, der sich nahtlos einreiht in unsere verkorkste Nicht-Debatten- und Empörungskultur. Schade.

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